Eiskalt erwischt
Wie Ruderer ihre Überlebenschancen im kalten Wasser verbessern können
Auch zu kalten Jahreszeiten wird gerudert, im Einer allerdings nur auf eigener Verantwortung. Gerade zu kalten Jahreszeiten verstärken sich die Gefahren beim Kentern. Darauf soll im Nachfolgenden eingegangen werden.
Augenscheinlich hilft es, wenn man nach dem Kentern schwimmen kann. Aber gem. englischen Untersuchungen ertrinken im kalten Wasser genau so viele Schwimmer wie Nichtschwimmer in Situationen, in denen das Schwimmen grundsätzlich möglich ist. Denn die Fähigkeit, im warmen Wasser zu schwimmen sagt nämlich nichts über die Schwimmfähigkeit im kalten Wasser aus.
Die lebensbedrohliche Kälteschockreaktion beginnt bereits bei Wassertemperaturen unter 25 Grad Celsius und erreicht das Maximum bei 10 -15 Grad Celsius Wassertemperatur. Untersuchungen zeigen auf, dass 1/3 der tödlich Verunglückten nicht an den Folgen einer Unterkühlung gestorben sind, wie man vermuten könnte. Dabei gingen 63 % der Unfallopfer in einem Abstand von weniger als 15 m zum Ufer unter. Viele waren nicht imstande, auch nur die letzten 2 m zum Ufer zu schwimmen.
Welche biologischen Mechanismen sind dafür verantwortlich?
Stadium 1: Eintauchreflex und Kälteschock
Beim Kentern tritt ein Eintauchreflex und Kälteschock ein. Die Nerven werden unmittelbar nach dem Eintauchen ins Wasser gereizt, es kommt zu reflexartigem Luftholen, das bereits zum Ertrinken führen kann. Ein vom Willen nicht unterdrückbares schnelles Atmen folgt, das leicht zu Krämpfen führen kann. Schon bei 15 Grad Celsius Wassertemperatur ist die Fähigkeit zum Luftanhalten um 70 % reduziert. Wenn kaltes Wasser in die Ohren dringt, kann zusätzlich das Gleichgewichtsgefühl beeinträchtigt werden. Die Folge kann ein Verlust der Orientierung unter Wasser sein – man taucht tiefer statt nach oben.
Stadium 2: Schwimmversagen
Der Kraftverlust der Muskulatur beträgt pro Grad Temperaturabfall im (Arm-bzw. Bein-) Muskel 3 %. Das wären bei einem Abfall von 37 Grad auf 20 Grad Celsius bereits über 50 %.Kraftverlust. Zusätzlich wirken sich die verlangsamte Geschwindigkeit und geringere Intensität der Nervenleitung aus. Bei 15 Grad Celsius Wassertemperatur verliert damit der Körper sein Streckvermögen, aber auch die gesamte Koordination der Schwimmbewegungen bis zum Schwimmversagen. Die Kälte vermindert nicht nur die Kraft der Arm- und Beinmuskulatur, sondern auch die Feinarbeit der Handmuskeln und –nerven.
Stadium 3: Unterkühlung
Der Körper verliert Wärme im Wasser 25 – 30-mal schneller als an der Luft. Die langsam eintretende Unterkühlung des Körperkerns (ab 35 Grad und tiefer) führt zu geistiger Verwirrung und Apathie. Der Herzschlag wird langsamer. Weniger Sauerstoff erreicht das Körpergewebe, die Urinproduktion steigt und führt zur Blutverdickung, der die Luftwege schützende Hustenreflex wird verschlimmert, so dass die Gefahr entsteht, Wasser in die Lunge zu bekommen. Greifkraft und Handfertigkeiten lassen stark nach. Zum Überleben notwendige Handlungen wie Festhalten sind sehr stark beeinträchtigt.
Überlebenschancen hängen von vielen Faktoren ab: Wassertemperatur und Kleidung, Produktion von Körperwärme durch Kältezittern und Bewegung, Dicke des Fettunterhautgewebes, körperlicher Fitness, vorheriger Nahrungsaufnahme, Körperposition im Wasser.
Stadium 4: Kollaps nach der Rettung
Bis zu 20 % der Todesfälle treten während der Bergung aus dem Wasser oder in den nachfolgenden Stunden auf. Ursächlich hierfür sind Kreislaufkollaps, Bluteindickung, Unterkühlung des Herzmuskels und psychischer Stress.
Wie kann das Risiko vermindert werden?
Vor Fahrtantritt
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Bei schlechtem Wetter an Land bleiben.
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Vor Fahrtantritt Boot auf Schäden, lose Dollenbügel etc kontrollieren.
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Stets korrektes Ziel im Fahrtenbuch angeben.
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Ausreichend warme und mehrschichtige Kleidung anlegen.
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Mütze aufsetzen.
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Wasserdicht verpacktes Handy mitnehmen. Im Boot fixieren, dass es nicht wegschwimmt.
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Tragen einer Rettungsweste hilft zweierlei:
– Kopf kommt aus dem Wasser,
– Keine Schwimmbewegungen erforderlich.
Überlebenszeit steigt um 50 %.
Während der Fahrt
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Wetter/ Wind / Wellen beobachten. Rechtzeitig umkehren.
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In ungesteuerten Booten umsehen, um die Fahrtstrecke zu überwachen
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Rudern nur im Hellen und in Ufernähe.
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Ausweichregeln beachten.
Nach der Fahrt
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Bootsschäden melden, ggf. Boot sperren lassen.
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Fahrt austragen.
Verhalten bei Kenterung
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Wenn möglich, vorher tief Luft holen, Mund schließen, Nase zuhalten, langsam ins Wasser rollen anstelle mit den Füßen zuerst, um einen Kälteschock zu vermeiden bzw. zu mindern. (Der Kälteschock ist eine erhöhte respiratorische Reaktion auf das Eintauchen in kaltes Wasser. Zuerst gibt es einen unfreiwilligen Atemzug, dem Hyperventilation folgt. Wichtig: Gesicht aus dem Wasser!)
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Konzentriere Dich sofort darauf, nicht zu ertrinken. Aber wenn man die Kälteschock-Reaktion erwartet und darüber Bescheid weiß, geht der Schock schneller vorbei.
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Kopf über Wasser halten, Rücken zum Wind, Atmung in den Griff bekommen, Mütze aufbehalten, da sonst der Wärmeverlust sehr hoch ist, Situation einschätzen (wo ist das Boot, sind die Mannschaftskameraden?).
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Zusammen am Boot bleiben, so schnell wie möglich den eigenen Körper ganz aus dem Wasser bekommen. Mindestens Oberkörper auf den Bootsrumpf legen. Wenn das Boot weggetrieben ist, Skulls bzw. Riemen oder Bodenbretter als Schwimmhilfe unter die Arme nehmen.
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Wenn keine Möglichkeit besteht, das Wasser zu verlassen: Kopf aus dem Wasser halten, alle Körperbewegungen minimieren und allenfalls die Beine bewegen.
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Die Entscheidung zur Selbstrettung durch Schwimmen ans Ufer sollte ausdrücklich der letzte Ausweg werden.
Bergung / Transport
Ein Unfallopfer sollte zur Vermeidung des Kollapses möglichst:
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bei der Bergung umgehend in eine horizontale Position gebracht werden,
- vor weiterem Wärmeverlust durch Decken, winddichte Kleidung geschützt werden,
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umgehend ins Krankenhaus transportiert werden.
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Grundsätzlich verboten: Warm laufen lassen, Frottieren, heißes Duschen im Stehen, Alkohol trinken